Press Release | MBI | 09-05-2016

Die Quantenschaukel - ein Pendel das gleichzeitig vor und zurück schwingt

Ultrakurze Terahertz-Impulse regen Zwei-Quanten-Oszillationen von Atomen in einem Halbleiterkristall an. Die von den bewegten Atomen abgestrahlten Terahertz-Wellen werden mittels einer neuen zeitaufgelösten Technik analysiert und zeigen den nicht-klassischen Charakter der Atombewegungen von großer Amplitude.

Die Quantenschaukel - ein Pendel das gleichzeitig vor und zurück schwingt

Zwei-Quanten-Oszillationen von Atomen in einem Halbleiterkristall. Ausführlicher Bildtext weiter unten. | Bild: MBI

 

 

 

 

 

Ultrakurze Terahertz-Impulse regen

Zwei-Quanten-Oszillationen von Atomen in einem Halbleiterkristall an. Die von

den bewegten Atomen abgestrahlten Terahertz-Wellen werden mittels einer neuen

zeitaufgelösten Technik analysiert und zeigen den nicht-klassischen Charakter

der Atombewegungen von großer Amplitude.

Das klassische Pendel einer Standuhr schwingt mit einer wohl

definierten Auslenkung und Geschwindigkeit zu jedem Zeitpunkt vor und zurück.

Während dieser Schwingung bleibt seine Gesamtenergie konstant, welche durch

eine beliebig wählbare Anfangsauslenkung vorgegeben ist. Oszillatoren in der

Quantenwelt der Atome und Moleküle verhalten sich völlig anders: Deren Energie

hat diskrete Werte entsprechend der unterschiedlichen Quantenzustände eines

Oszillators. Der "verschmierte" Ort eines Atoms in einem

Energieeigenzustand des Oszillators wird mit Hilfe der Wellenfunktion

beschrieben, deren Amplitude keinerlei Schwingungen aufweist.

Schwingungsbewegungen in der

Quantenwelt erfordern eine Überlagerung unterschiedlicher Quantenzustände -

sogenannte Kohärenzen oder Wellenpakete. Die Überlagerung zweier benachbarter

Oszillatorzustände entspricht einer Ein-Quantenkohärenz, bei der die

Atombewegung dem klassischen Pendel sehr ähnelt. Viel interessanter sind

Zwei-Quantenkohärenzen, eine waschechte nicht-klassische Anregung, bei der ein

Atom gleichzeitig an zwei verschiedenen Orten sein kann. Seine Geschwindigkeit

verhält sich auch nicht-klassisch, was bedeutet, dass es sich zur selben Zeit

von links nach rechts und von rechts nach links bewegt (siehe Movie). Solche

Bewegungen existieren nur für sehr kurze Zeiten, weil die wohl definierte

Überlagerung der Quantenzustände aufgrund der sogenannten Dekohärenz innerhalb

weniger Pikosekunden (1 Pikosekunde = 10-12s) zerfällt. Solche

Zwei-Phononen-Kohärenzen sind äußerst wichtig in dem neunen Forschungsgebiet

der sogenannten Quanten-Phononik. Dort werden nicht-klassische Atombewegungen

wie etwa "gequetschte" oder "verschränkte" Phononen

untersucht.

In der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift

Physical Review Letters haben Forscher des Max-Born-Instituts in Berlin die

neue Methode der Zwei-Dimensionalen (2D) Terahertz-Spektroskopie eingesetzt um

nicht-klassische Zwei-Phononen-Kohärenzen mit großen räumlichen Amplituden zu

erzeugen und nachzuweisen. In den Experimenten wechselwirkt eine Sequenz von

drei phasengekoppelten THz-Impulsen mit einem 70-μm dicken Kristall des

Halbleiters Indiumantimonid (InSb). Das elektrische Feld, das die bewegten

Atome abstrahlen, dient als eine Sonde für die Atombewegung in Echtzeit. Ein

zwei-dimensionales Abrasterverfahren (ein sogenannter 2D-scan), bei dem die

zeitliche Verzögerung zwischen den drei THz-Impulsen variiert wird, zeigte

ausgeprägte Zwei-Phononen-Signale und konnte deren Zeitstruktur aufdecken [Abb.

1]. Eine detaillierte theoretische Analyse brachte die Einsicht, dass

nichtlineare Vielfach-Wechselwirkungen von allen drei THz-Impulsen nötig sind

um solche starken Zwei-Phonen-Kohärenzen anzuregen.

Die neue experimentelle Methode

erlaubte zum ersten Mal Zwei-Phononen-Kohärenzen großer Amplitude in einem

Kristall nachzuweisen. Alle experimentellen Beobachtungen sind in exzellenter

Übereinstimmung mit der Quantentheorie. Dieser neue Typus von

2D-THz-Spektroskopie weist den Weg zur Erzeugung, Analyse und Manipulation von

anderen Niedrig-Energie-Anregungen in Festkörpern, wie z.B. Magnonen oder

optischen Übergängen in Exzitonen oder an Störstellen gebundenen Elektronen.

Originalpublikation: Physical Review Letters 116, 177401

Two-Phonon Quantum Coherences in Indium Antimonide Studied by Nonlinear

Two-Dimensional Terahertz Spectroscopy;

Carmine Somma, Giulia Folpini, Klaus Reimann, Michael Woerner, and Thomas

Elsaesser

DOI: http://dx.doi.org/10.1103/PhysRevLett.116.177401

Kontakt

Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI)

Max-Born-Str. 2A, 12489 Berlin

Prof. Klaus Reimann

reimannmbi-berlin.de

Tel. 030 6392 1476

Dr. Michael Wörner

woernermbi-berlin.de

Tel. 030 6392 1470

Prof. Dr. Thomas Elsässer

elsassermbi-berlin.de

Tel. 030 6392 1400

Abb. 1: Experimentell gemessene

Kurven: (a) Zwei-dimensionaler (2D) scan der Summe der elektrischen Felder

E(τ,t) der drei treibenden THz-Impulse A, B und C als Funktion der Kohärenzzeit

τ und der Realzeit t. Das Konturdiagramm ist rot gefärbt für positive

elektrische Felder und blau gefärbt für negative elektrische Felder. (b) 2D

scan des von der Zwei-Phononen-Kohärenz im Halbleiter Indiumantimonid

nichtlinear abgestrahlten, elektrischen Feldes ENL(τ,t) Die orange

Linie zeigt die Mitte von THz-Impuls A. (c) Elektrische Feldtransiente ENL(0,t)

gemessen für Kohärenzzeit τ=0.

 

Movie: Veranschaulichung von

nicht-klassischen Quantenkohärenzen in Materie. Die zwei Parabeln (scharze

Kurven) zeigen die Potentialoberflächen von harmonischen Oszillatoren, die die

Schwingungen von Atomen in einem Kristall um ihre Gleichgewichtslage

repräsentieren - die sogenannten Phononen. Die blauen Kurven zeigen die

Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Atome an unterschiedlichen Orten im

thermischen Gleichgewicht. Die quantenmechanische Unschärferelationen erzwingt

eine endliche räumliche Ausdehnung solcher Verteilungsfunktionen. Die roten

Kurven zeigen die zeitabhängige Aufenthaltswahrscheinlichkeit von verschiedenen

kohärent schwingender Quantenzustände in der Materie. Links sieht man eine

Ein-Phonon-Kohärenz, bei der die quantenmechanische Bewegung der Atome stark

der klassischen Bewegung eines Pendels ähnelt (türkise Kugel). Diese bewegt

sich während der Oszillation entweder von links nach rechts oder von rechts

nach links. Auf der rechten Seite sehen wir die zeitabhängige

Aufenthaltswahrscheinlichkeit einer Zwei-Phononen-Kohärenz. Die Quantenmechanik

erlaubt eine nicht-klassische Bewegung, bei der ein Atom gleichzeitig an zwei

unterschiedlichen Orten verweilen kann. Die Geschwindigkeit der Atome verhält

sich auch nicht-klassisch, d.h., es kann zur gleichen Zeit von links nach

rechts und von rechts nach links schwingen. Bei einem perfekten harmonischen

Oszillator würden die Teilchenströme dieser beiden Anteile sich exakt

auslöschen. Daher muss eine kleine Anharmonizität vorliegen, damit man die

Emission eines kohärenten elektrischen Feldes wie in Abbildung 1(c) beobachten

kann.

http://www.mbi-berlin.de/images/highlights/movie/InSbmovie7.avi