Forschung | IZW | 01-01-2020

Der Maushirsch lebt doch

Das Vietnam-Kantschil , auch „vietnamesischer Maushirsch“ genannt, galt als ausgestorben. Doch nun haben Forscher das scheue Tier nach 28 Jahren wiederentdeckt und erstmals in der Wildnis fotografiert und gefilmt.

Alexis Rockman für Global Wildlife Conservation

Das Vietnam-Kantschil – eine rehähnliche, katzengroße Art – wurde von Wildtierkameras im südlichen Teil Vietnams fotografiert und gefilmt. Dies sind die ersten Aufnahmen der seit 1990 nicht mehr dokumentierten Tierart. Sie ist damit die erste wiederentdeckte Art der „Liste der 25 meistgesuchten verlorenen Spezies“ der Global Wildlife Conservation (GWC). Die Wiederentdeckung wurde jetzt in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution publiziert und ist Ansporn zur Entwicklung von Schutzmaßnahmen dieser und weiterer einheimischer (endemischer) Arten im Biodiversitäts-Hotspot Südostasien.

Das Forscherteam hatte drei Wildtierkameras für einen Zeitraum von fünf Monaten in der Annamiten-Bergregion im Süden Vietnams installiert, in der Bewohner Sichtungen der Tiere gemeldet hatten. Diese nahmen im Jahr 2018 insgesamt 275 Fotos der Art auf. Das Team richtete dann weitere 29 Kameras in derselben Gegend ein und gelangte so im Verlauf weiterer fünf Monate zu unglaublichen 1.881 Fotos des Vietnam-Kantschils. „Trotz der Hinweise aus der Bevölkerung konnten wir nicht sicher sein, was uns erwartet. Ich war also überrascht und überglücklich, als wir die Bilder der Kamerafallen auswerteten und Fotos von einem Kantschil mit silbernen Flanken sahen“, sagt An Nguyen, Associate Conservation Scientist bei der GWC und Leiter dieses Forschungsvorhabens. An Nguyen ist außerdem Doktorand am Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung. „Für eine sehr lange Zeit existierte diese Art nur noch in unserer Vorstellung. Diese Entdeckung, die bestätigt, dass diese Huftiere tatsächlich noch in der Wildnis leben, ist der erste Schritt um sicherzustellen, dass wir sie nicht wieder verlieren. Wir müssen jetzt schnell handeln, um ein baldiges Aussterben nach der Wiederentdeckung zu verhindern.“

Der Vietnam-Kantschil wurde 1910 auf der Basis von vier Individuen aus Südvietnam beschrieben. Eine russische Expedition im Jahr 1990 nach Zentralvietnam konnte ein fünftes Tier dieser Art aufspüren. Seitdem gab es keine bestätigten Sichtungen. Die Wissenschaft weiß daher nahezu nichts über die Biologie und Ökologie oder den Bedrohungsstatus dieser Art. Die GWC setzte daher das Vietnam-Kantschil auf ihre Liste der 25 meistgesuchten verlorenen Arten. Für die GWC genießt die Art eine hohe Priorität für den Säugetierschutz in Vietnam, ein Arbeitsschwerpunkt der Naturschutzorganisation.

Es gibt zehn bekannte Arten von Kantschilen, oder „Maushirschen“, auf der Welt, die mehrheitlich in Asien beheimatet sind. Trotz ihres umgangssprachlichen Namens sind Kantschile weder mit Mäusen noch mit Hirschen verwandt, sondern stellen die Gruppe der kleinsten Huftiere der Welt dar. Sie sind Einzelgänger, laufen auf der Spitze ihrer Hufe und haben zwei winzige Reißzähne. Ein Kantschil wiegt typischerweise weniger als fünf Kilogramm.

„Die Wiederentdeckung des Vietnam-Kantschils gibt auch uns große Hoffnung für den Erhalt der biologischen Vielfalt Vietnams, insbesondere bedrohter Arten“, sagt Hoang Minh Duc, Leiter der Abteilung für Zoologie des Southern Institute of Ecology, einem Institut der Vietnamesischen Akademie der Wissenschaften mit Sitz in Ho Chi Minh-Stadt. „Dies ermutigt uns, zusammen mit unseren internationalen Partnern Zeit und Mühe in die weitere Erforschung und den Erhalt des vietnamesischen Biodiversitätserbes zu investieren.“

Publikation

Camera-trap evidence that the silver-backed chevrotain Tragulus versicolor remains in the wild in Vietnam.
Nguyen A, Tran VB, Huang MD, Nguyen TAM, Nguyen DT, Tran VT, Long B, Meijaard E, Holland J, Wilting A, Tilker A (2019) Nature Ecology & Evolution.
doi: 10.1038/s41559-019-1027-7

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