Viele der frühen Sternstunden der Wissenschaft wurden von Forschenden ermöglicht, die in einer Vielzahl von Disziplinen – und oft auch über die Wissenschaft hinaus – über überragende Kenntnisse und visionären Geist verfügten. Zu diese Universalgelehrten zählten neben Gottfried Wilhelm Leibniz oder Leonardo da Vinci auch Hermann Ludwig Ferdinand Helmholtz. Neben Beiträgen zur Physiologie und Pathologie stechen vor allem seine Arbeiten zu Elektro- und Thermodynamik sowie zur Optik und Akustik heraus. In der heutigen Zeit mit ihrer enormen Auffächerung und Spezialisierung in den Wissenschaften sind Universalgelehrte rar geworden – dennoch ist trans- und interdisziplinäres Denken oft von großem Nutzen, um die nicht aus Schubladen bestehende Welt besser zu verstehen. Wenn Helmholtz mit seinem akustischen Resonator und Edward O. Wilson mit seinem holistischen Blick auf Forschung und Schutz der Biodiversität gemeinsame Sache gemacht hätten, wäre vielleicht eine Forschungsarbeit herausgekommen, wie sie das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung kürzlich publizierte: Die Biologen nutzen akustische Analysen der Orientierung und Kommunikation von Fledermäusen, um die Methoden zum Schutz der Flattertiere an Windkraftanlagen zu verbessern – ein Beitrag zur Vereinbarkeit von Energiewende und Artenschutz.
Um von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umzusteigen, werden weltweit immer mehr Windkraftanlagen gebaut. Das ist zwar klimafreundlich, hat aber Nebenwirkungen, denn an den Anlagen kommen viele Fledermäuse zu Tode. Dies ist ein Problem für die Windkraftbetreiber wie für den Artenschutz, denn alle Fledermausarten sind aufgrund ihrer Seltenheit gesetzlich geschützt. Damit die Energiewende nicht zu Lasten des Artenschutzes geht, wird mithilfe von Ultraschalldetektoren die akustische Aktivität von Fledermäusen erfasst. Um herauszufinden, wann der Betrieb der Anlagen für Fledermäuse eine Gefahr darstellt und wann nicht, ermitteln die Detektoren jene Zeiten und Umweltbedingungen, bei denen Fledermäuse an den Anlagen besonders aktiv sind. Hierzu werden die Echoortungsrufe der Fledermäuse erfasst, wenn diese sich in der Risikozone der Rotorblätter aufhalten. Daraus lassen sich Schwellenwerte, etwa für Temperatur und Windstärke, für einen fledermaussicheren Betrieb der Windenergieanlagen ableiten. Windenergieanlagen produzieren dann nur Strom, wenn keine oder nur wenige Fledermäuse aktiv sind – beispielsweise werden die Windturbinen nachts, bei höheren Temperaturen, während der Migrationszeit und bei niedrigen Windgeschwindigkeiten gedrosselt.
Trotz dieser bestehenden Maßnahmen kommen jedoch mitunter weiterhin viele Tiere zu Tode. „Das könnte daran liegen, dass das akustische Monitoring zwar gut gedacht, aber methodisch unzureichend umgesetzt ist“, resümiert Fledermausexperte Dr. Christian Voigt, Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie des Leibniz-IZW, gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus dem In- und Ausland in einer gemeinsamen Veröffentlichung. „Jede Fledermausart produziert Echoortungslaute in einer für die Art typischen Höhe und Lautstärke“, erklärt Voigt. Das Forschungsteam simulierte die Schallausbreitung am Beispiel von Großen Abendseglern, deren Rufe eine niedrige Frequenz (ungefähr 20 kHz) und einen hohen Schalldruckpegel (110 dB) haben sowie Rauhautfledermäusen, die mit höherer Frequenz (ungefähr 40 kHz) und geringerem Schalldruckpegel (104 dB) rufen. „Unsere Simulationen zeigen, dass die Rufe bei ihrer Ausbreitung durch die Luft entsprechend physikalischer Gesetze mit jedem Meter Entfernung abgeschwächt werden – bei Großen Abendseglern um 0,45 dB und bei Rauhautfledermäusen um 1,13 dB je Meter“, so Voigt. Bei der allgemein verbreiteten Erkennungsschwelle der Ultraschalldetektor von 60 dB können die Rufe von Großen Abendseglern bis zu einer Entfernung von 40 m zum Detektor erfasst werden. Für Rauhautfledermäuse liegt die Detektionsreichweite im Schnitt bei 17 m.
Da die Rotorblätter heutiger Windkraftanlagen aber zum Teil 50 bis 60 m oder sogar noch länger sind, reicht diese Erfassungszone nicht aus. Auch der Bereich oberhalb der Gondel, also nahezu die komplette obere Hälfte des Rotationskreises der Blätter, wird von den Ultraschalldetektoren nur unzureichend abgedeckt. Und wenn die Fledermäuse nicht direkt auf das Ultraschallmikrofon zufliegen, reduziert sich die Detektionsreichweite weiter drastisch.
Diese und viele weitere Faktoren schränken die Wirksamkeit der Detektoren ein. Das Kollisionsrisiko wird nur unzureichend widergespiegelt und möglicherweise werden dadurch falsche Auflagen formuliert. Um die Risikozone der Rotorblätter besser abzudecken, empfehlen die Wissenschaftler zusätzliche Detektoren an verschiedenen Stellen, zum Beispiel oberhalb sowie auf der windabgewandten Seite der Gondel. Damit auch Fledermäuse registriert werden, die in niedrigeren Höhen fliegen oder Insekten von der Mastoberfläche sammeln, sei es außerdem ratsam, Ultraschalldetektoren direkt am Mast zu installieren. Ergänzende Sensortechnik wie Radarsysteme oder Wärmebildkameras könnten zusätzliche Informationen liefern, die sicherstellen können, dass die Energiewende nicht auf Kosten der Biodiversität geht.
Text: Jan Zwilling