Praktisch die ganze moderne Welt ist miteinander vernetzt. Wenn irgendwo jemand mit seinem Handy ein interessantes Video aufnimmt und über soziale Medien verteilt, kann das sofort auf der anderen Seite des Planeten Aufmerksamkeit erregen. Die Struktur der heutigen Kommunikationstechnik ist allerdings anfällig für Eingriffe und Überwachung, denn die Daten laufen über zentrale Funkmasten und Rechenzentren, die von Regierungen abgeschaltet oder von Geheimdiensten und Kriminellen angezapft werden können.
Schwerer zu kontrollieren sind Kommunikationsnetzwerke, bei denen viele Geräte direkt miteinander kommunizieren und nicht mit zentralen Sende- und Empfangsgeräten. So konnten etwa Demonstranten in Hongkong mit ihren Handys über Bluetooth ein unabhängiges Netz zum Senden von Nachrichten aufbauen, als die Regierung bei Protesten das Mobilfunknetz lahmlegte. Aber auch die Kommunikation von Autos untereinander spielt eine wichtige Rolle bei der Mobilität von morgen. Der Mathematiker Benedikt Jahnel erhielt nun im Leibniz-Wettbewerb 2021 die Förderung für eine neue Leibniz-Junior Research Group, die die mathematischen Grundlagen solcher Netzwerke untersucht.
„Wir wollen solche Kommunikationsnetzwerke ganz allgemein und abstrakt analysieren“, erklärt Jahnel. „Dazu nutzen wir mathematische Methoden wie die Punktprozess-Theorie, bei der einzelne Teilnehmer im Netzwerk als interagierende Agenten dargestellt werden.“ Auf diese Weise wollen die Wissenschaftler mit Hilfe probabilistischer Analysen sowohl die Chancen als auch mögliche Schwachstellen in derartigen Systemen ermitteln. So können sich in einem großen Netzwerk Cluster aus gut miteinander verbundenen Teilnehmern bilden, die zwar untereinander gute Kommunikation gewährleisten, die aber andererseits schlecht mit weiter entfernt liegenden Gebieten verbunden sind.
Ein Beispiel für solche Netzwerke sind weit verstreute Seebojen, die aus Kostengründen nicht einzeln mit Satelliten kommunizieren können, sondern ihre Messdaten untereinander per Funk austauschen, bis schließlich ein zentraler Sammelpunkt erreicht ist.
Auch wenn die Forschungsarbeit für die Mathematik durchaus anwendungsnah klingt, ist sie keine industrielle Auftragsforschung. „Dazu ist unsere abstrakte Arbeit zu weit von praktischen Fragestellungen entfernt“, so Jahnel. „Aber der eine oder andere Netzwerk-Designer dürfte sich schon von unseren Ergebnissen inspirieren lassen.“
Dazu gehört nicht zuletzt die Modellierung hybrider Systeme, bei denen sowohl viele Agenten untereinander direkt kommunizieren als auch zentrale Infrastruktur-Knotenpunkte ins Spiel kommen. Das könnte bei sogenannten Car-to-Car-Netzen (C2C) eine wichtige Rolle spielen, wenn autonomes Fahren oder Verkehrswarnungen durch neuartige Datennetzwerke unterstützt werden sollen. Ähnliches gilt für Device-to-Device-Netzwerke (D2D). Solche Netze werden wohl dann am leistungsfähigsten sein, wenn sie weder gänzlich zentral noch völlig dezentral organisiert sind.
Die Arbeitsgruppe soll künftig aus vier bis fünf Personen bestehen, wozu neben Jahnel zwei Doktoranden und ein Post-Doc gehören. Die Förderung ist auf fünf Jahre ausgelegt. Das Thema wird aber längerfristig am WIAS von Interesse bleiben.
Text: Dirk Eidemüller