Kleinste Organismen halten das Wasser von Seen sauber. Sie entgiften dabei auch die Stickstoffverbindung Ammonium, die z.B. durch Düngemittel in Gewässer gelangt und auch natürlicherweise durch Stoffwechselprozesse entsteht. Ein internationales Team unter Führung der Deutschen Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen (DSMZ) mit den IGB-Forschern Hans-Peter Grossart und Danny Ionescu hat nun gezeigt, dass diese Entgiftung von Ammonium in den Tiefen europäischer Seen nur von einer extrem geringen Artenzahl von Archaebakterien abgesichert wird.
Ammonium ist eine Stickstoffverbindung die in hohen Konzentrationen giftig für aquatische Lebewesen ist und Trinkwasserquellen verunreinigt. Es entsteht bei der Zersetzung von organischem Material in den Gewässern selbst und gelangt auch als landwirtschaftliches Düngemittel in Seen und Flüsse. Zum Glück gibt es die Selbstreinigungskraft von Gewässern in Form von unzähligen mikroskopisch kleinen Lebewesen, die Ammonium abbauen. In den tiefen Schichten von nährstoffarmen Seen mit großen Wasserkörpern (so wie der Bodensee und viele andere voralpine Seen) übernehmen Archaebakterien diese Funktion. Sie wandeln Ammonium zu Nitrat um, aus dem dann N2-Stickstoff entsteht – ein Hauptbestandteil der Luft.
In tiefen Seen weltweit nur etwa eine bis 15 verschiedene Arten von Ammonium-abbauenden Archaebakterien
Die Forschenden untersuchten die Biodiversität und Entwicklungsgeschichte der Ammonium-oxidierenden Archaebakterien in tiefen Seen auf fünf Kontinenten. Sie konnten zeigen, dass die Artenvielfalt dieser Archaeen in Seen weltweit im Durchschnitt nur etwa eine bis 15 Arten umfasst. In europäischen Seen ist die dominierende Art sogar hoch klonal und weist kaum genomische Mikrodiversität auf. „Diese Artenarmut macht die Selbstreinigungskraft tiefer Seen potenziell anfällig für Umweltveränderungen und steht im Gegensatz zu marinen Ökosystemen, in denen eine viel höhere Artenvielfalt dieser Gruppe von Mikroorganismen vorherrscht", erklärt Hans-Peter Grossart, Mitautor der in der Fachzeitschrift Science Advances veröffentlichten Studie. „Seen sind wichtig für die Trinkwasserversorgung und die Binnenfischerei und haben als Naherholungsgebiete auch eine große gesellschaftliche Bedeutung. Eine Akkumulation von Ammonium würde diese Ökosystemleistungen gefährden.“
Selektionsdruck durch Lebensraumwechsel vom Meer ins Süßwasser
Das Team fand auch eine Erklärung für die Artenarmut: Die Besiedlung von Süßgewässern erfolgte immer aus marinen Lebensräumen. Allerdings mussten die Archaeen aufgrund der viel geringeren Salzkonzentrationen in Süßgewässern ihre Zellzusammensetzung stark verändern, was im Laufe der Evolution nur wenige Male gelang. „Dieser Selektionsdruck hat wohl eine Besiedlung von Süßgewässern durch eine breitere Vielfalt an Ammonium-oxidierenden Archaeen verhindert“, sagt Danny Ionescu, ebenfalls Mitautor der Studie.
Überrascht waren die Forschenden von der Erkenntnis, dass sich die in Europa vorherrschende Süßwasser-Art in den 13 Millionen Jahren seit ihrer Entstehung kaum verändert hat und quasi klonal von Europa bis Asien verbreitet ist. Die Autor*innen vermuten, dass ein niedriger Nährstoffgehalt in Kombination mit einer niedrigen Temperatur von 4 Grad Celsius unterhalb der Sprungschicht und einigen weiteren limitierenden Faktoren der untersuchten Seen hohe Wachstumsraten und damit verbundene evolutionäre Veränderungen verhindern.
Artenarmut ist Risikofaktor bei sich ändernden Umweltbedingungen im Klimawandel
Diese Archaebakterien sind somit in einem Zustand geringer genetischer Diversität gefangen. Da die Auswirkungen des Klimawandels in Süßgewässern ausgeprägter sind als in marinen Habitaten, was mit einem Verlust an Biodiversität einhergeht, bleibt unklar, wie die extrem artenarmen und evolutionär statischen Süßwasser-Archaeen auf Veränderungen durch die globale Erwärmung und Überdüngung landwirtschaftlicher Nutzflächen reagieren werden.